Forschungsbedarf und Forschungsschwerpunkte in der LandwirtschaftApril 2000
Ausgangslage Im Juni 1999 hat das Bundesamt für Landwirtschaft das Organe consultatif sur les changements climatiques (OcCC) angefragt, zu seiner Sicht des Forschungsbedarfs und der Forschungsschwerpunkte im Bereich Atmosphäre-Klima-Landwirtschaft Stellung zu nehmen. Das OcCC hat in der Folge eine Arbeitsgruppe bestehend aus eigenen Mitgliedern und externen Experten einberufen, welche die vorliegende Stellungnahme verfasst hat. Grundsätzliche Überlegungen Global trägt die Landwirtschaft etwa 57% zu den anthropogenen Emissionen von CH4 und über 65% derjenigen von N2O bei [OECD, 1996]. In der Schweiz beträgt der Anteil der landwirtschaftlichen Emissionen an allen anthropogenen Treibhausgas-Emissionen rund 11% [BUWAL, 1998]. Die landwirtschaftlich bewirtschafteten Wiesen sowie die Ackerkulturen stellen mit Ihrem Humusvorrat einen wichtigen CPool dar, der je nach Management grösser (C-Senke) oder kleiner werden kann (C-Quelle). Entsprechend der Bedeutung der Wechselwirkungen zwischen der Landwirtschaft einerseits und dem Komplex Klima-Atmosphäre andererseits bestehen in diesem Themengebiet bedeutende internationale und nationale Forschungsaktivitäten. Das Forschungsgebiet ist sehr vielschichtig, da neben dem eng naturwissenschaftlichen Problem der Treibhausgas-Emissionen und -Senken auch soziale (z.B. Ernährung und Konsumverhalten) und wirtschaftliche Aspekte (z.B. sektorielle Veränderungen, Handel, Gütertransport) die Wechselwirkungen zwischen Landwirtschaft und Klima beeinflussen. Die Arbeitsgruppe erachtet es als wichtig, dass sich die landwirtschaftliche Forschung in der Schweiz weiterhin im Bereich Klima-Atmosphäre engagiert. Aufgrund der komplexen interdisziplinären Fragestellungen ist es aber nicht möglich, in so kurzer Zeit eine ausgewogene Analyse der prioritären Fragestellungen zu geben. Im folgenden werden somit nur einige Hauptstossrichtungen sowie grundsätzliche strukturelle Überlegungen angestellt. Falls das BLW eine ausführliche Problemanalyse wünscht, wird empfohlen, in einem gemeinsamen Projekt der Forschungskommission des BLW, der Expertenkommissionen der landwirtschaftlichen Forschungsanstalten und dem OcCC die Forschungsprioritäten zu evaluieren. Prioritäre Fragestellungen der Forschung Die vom BLW vorgestellte Problemanalyse zeigt die Verknüpfungen vom Einzelbetrieb bis zum globalen Klima auf. Allerdings ist die Problemanalyse zu stark auf die Treibhausgase ausgerichtet und wird der Komplexität und Vernetzung der Fragestellungen zu wenig gerecht. Die Auswirkungen von einzelnen Einflussfaktoren auf das Klima müssen z. b. in Verbindung mit den Bereichen Boden und Wasserhaushalt in ausgewählten Bodennutzungssystemen untersucht werden. Zusätzlich muss beachtet werden, dass die Landwirtschaft nicht nur als Verursacher (von Emissionen) sondern auch als betroffener Sektor (Auswirkungen von klimatischen und atmosphärenchemischen Veränderungen) ein grosses Interesse an diesem Themengebiet haben muss. Beispielhaft sind einige Aspekte aufgeführt, die in die Überlegungen zur Bemessung der Forschungsprioritäten mit einbezogen werden sollten: Grundsätzlich sind ganzheitliche Ansätze anzustreben. Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung tragen die Industrieländer eine besondere Verantwortung hinsichtlich Produktions- und Verarbeitungstechniken. Aus ökonomischer Sicht sollten Reduktionsmassnahmen dort erfolgen, wo die Grenzkosten einer Reduktion minimal sind. Hierzu sind auch die internationalen Verflechtungen (Emissionen im Produktionsgebiet, beim Transport usw.) zu beachten. Das Problembewusstsein im Bereich Kohlenstoff scheint grösser als im Bereich Stickstoff. Aufgrund des über 300 mal grösseren Treibhauspotentials von N2O gegenüber CO2 und der Bedeutung des Ammoniak-Flusses in der Landwirtschaft sollte dem Verständnis des Stickstoffkreislaufes grösseres Gewicht beigemessen werden. Vertiefte Einblicke in den Stickstoffkreislauf könnte auch Hinweise zur Reduktion der Stickstoffracht im Grundwasser und den fliessenden Gewässern geben. Hier wären auch positive Synergien zwischen der klimarelevanten Forschung und dem Gewässerschutz zu erwarten. Ein weiterer Aspekt, der besonders beachtet werden muss ist die Nachhaltigkeit von Bodennutzungssystemen, die unterschiedliche Pflanzenarten einsetzen und eine möglichst niedrige ökologische Belastung anstreben. Es ist eine Aufgabe der pflanzenbaulichen Forschung solche Systeme zu entwickeln. Gleichzeitig kann der für Klimafragen wichtige Austausch Atmosphäre-Boden (Treibhausgase, Stickstoff u.a.) untersucht werden. Die Ausscheidung von Flächen zur Aufforstung stellt eine längerfristige Option zur Kohlenstoff-Speicherung dar, die jedoch in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion steht. Bezüglich der Treibhausgase bestehen bei Waldbäumen und landwirtschaftlichen Kulturen sehr viele ähnliche Fragestellungen. Eine Koordination der Forschung der beiden Sektoren, wie sie im Rahmen des SPP Umwelt bereits begonnen wurde, kann wertvolle Synergien und für beide Vegetationseinheiten vergleichbare Grundlagen ergeben. Mit diesem Vorgehen kann eine einheitliche und überzeugende Massnahmenplanung erarbeitet werden. Eine weitere wichtige Aufgabe der Ressortforschung ist das Umwelt-Monitoring, beispielsweise im Bereich Boden, das nicht direkt zur landwirtschaftlichen Forschung gehört. Die vorhandene Forschungsexpertise an einzelnen landwirtschaftlichen Forschungsanstalten bietet jedoch für die Durchführung günstige Voraussetzungen, sofern die notwendigen Mittel längerfristig gesichert sind. Arbeiten des Monitoring können nicht an eine Hochschule delegiert werden. Forschungsebenen Der Themenkreis Atmosphäre-Klima-Landwirtschaft kann in drei Betrachtungsebenen gegliedert werden: Die Auswirkungen globaler Veränderungen auf lokaler und regionaler Ebene, die Wechselwirkung zwischen einzelnen unterschiedlich genutzten Grundstücken eines Betriebs mit der Atmosphäre, sowie die Verflechtung des gesamten Landwirtschaftssektors mit anderen Bereichen der Wirtschaft und der Politik. Solide Kenntnisse der für lokale Emissionen dominierenden Prozesse sind für ein realitätsnahes Up-scaling vom Punkt in die Fläche unabdingbar Ihre Erarbeitung ist eine Aufgabe der lösungsorientierten Ressortforschung. Voraussetzung dazu ist eine geeignete Infrastruktur und Organisation um komplexe Probleme längerfristig und multidisziplinär angehen zu können. Diese Arbeiten müssen ein qualitativ hohes Niveau anstreben und dem internationalen Vergleich standhalten. Die experimentellen Forschungsarbeiten müssen Ergebnisse erbringen, die sich als Grundlage für die Modellbildung und -validierung eignen. Für die optimale Erfüllung dieser Aufgabe kommt der Schnittstelle zwischen der landwirtschaftlichen Forschung und der Grundlagenforschung auf dem Gebiete der Klimatologie der Universitäten und der ETH eine besondere Bedeutung zu. Mit einer starken Kooperation der verschiedenen Ebenen kann die Schweiz auch weiterhin wichtige international relevante Forschungsbeiträge in diesem Bereich liefern. Auch wenn die Schweiz wenig zum globalen Klimaproblem beiträgt, kann Sie gerade durch die Forschung wesentliche Beiträge an die Problemlösung auf internationaler Ebene leisten. Aufgrund der Forschungsexpertise über entscheidende Prozesse bis zu regionalen und lokalen Lösungsmodellen können Forschungsbeiträge mit Modellcharakter geliefert werden. Um dies zu erreichen ist in strategisch wichtigen Gebieten eine Forschungsexpertise notwendig, welche international stark eingebettet ist und dadurch die Schnittstelle zwischen der Grundlagenforschung und der mehr lösungsorientierten Ressortforschung wahrnehmen kann. Die Arbeitsgruppe empfiehlt deshalb, die heute vorhandene schweizerische Forschungsexpertise auf dem Gebiet Atmosphäre-Klima-Landwirtschaft durch eine optimale Gestaltung der Rahmenbedingungen und die notwendige materielle und personelle Unterstützung in Zukunft zu fördern. Mitglieder der Arbeisgruppe Prof. H. Thierstein, ETH Zürich, Mitglied des OcCC (Vorsitz)
Referenzen OECD, 1996: The climate implications of agricultural policy reform. OECD, Joint working party of the committee for agriculture and the environment policy committee.
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